盼雨 Sehnsucht nach dem Regen Neues chinesisches Kino 2009–2015

30. Oktober bis 29. November 2015
Eine Filmreihe im Zeughauskino Berlin

Nirgendwo wird derzeit die Rede vom Bedeutungsverlust des Kinos so eindrücklich widerlegt wie in China. Woche für Woche werden an die 100 neue Kinosäle eingeweiht; glaubt man den Prognosen, könnte das Umsatzvolumen des chinesischen Kinomarkts das des amerikanischen bereits 2018 übertreffen. Die Filmreihe Sehnsucht nach dem Regen geht von der Intuition aus, dass der aktuelle chinesische Kinoboom kein rein kommerzielles Phänomen ist. Vielmehr ist das Kino in China zu einem zentralen Medium der Modernisierung geworden – weil es wie keine andere Kunstform geeignet ist, die Modernisierung gesellschaftlich zu vermitteln, ihr eine Bedeutung zu geben, individuelles Schicksal und kollektive Erfahrung zu verbinden.

Die Filmreihe Sehnsucht nach dem Regen stellt eine ausdifferenzierte Produktionslandschaft vor: Genre- oder Autorenfilme; mit winzigen oder riesigen Produktions­etats; dem Zensor gehorchend oder zuwiderhandelnd; für heimische oder internatio­nale Abnehmer; aus Hongkong, Shanghai oder Beijing – oder aus den immer selbstbewusster auftretenden Peripherien des riesigen Landes. Das zeitgenössische Kino aus China erweckt den Glamour Shanghais in den 1920er Jahren zum Leben, verbindet die Kino­ traditionen Hongkongs und der Volksrepublik, bedient den Geschmack eines breiten Publikums mit romantischen Komödien und Martial-Arts- Filmen und gibt vielen eine Stimme, die lange ungehört und ungesehen geblieben sind.

Der Eröffnungsfilm Longing for the Rain beschreibt das Leben einer Frau aus der neuen chinesischen Mittelschicht. Sie lebt mit Tochter und Ehemann in Beijing, pflegt ihre alte Mutter und shoppt gerne mit ihren Freundinnen in der Stadt. Zuhause fühlt sie sich allerdings trotz ihrer abgesicherten Umgebung einsam. Die fürsorgliche und mütterliche Rolle, die sie in der Familie zu spielen hat, lässt keinen Platz für unabhängiges Begehren. Ein Ausweg scheint möglich, als ein mysteriöser Mann in Fan Leis Träumen auftaucht und tantrischen Sex mit ihr fordert. Yang Tian-yi, die vorher nur dokumentarisch gearbeitet hatte, ist mit Longing for the Rain ein außergewöhnliches Spielfilmdebüt geglückt, das zugleich Erotik­drama, Gespensterfilm und satirische Abhandlung über weibliches Begehren ist.

Das chinesische Blockbusterkino ist unter anderem durch zwei Arbeiten des Meisterregisseurs Tsui Hark vertreten. Der historische Kriminalfilm Detective Dee and the Mystery of the Phantom Flame, der am 14.11. zu sehen ist, führt die Tradition des Hongkong-Actionfilms unter den Bedingungen der chinesischen Filmindustrie fort. Dazu ordnet Tsui das Feuerwerk der Spezialeffekte und der martial arts beiläufig in die imperialen Erzählungen ein. Das Ergebnis ist ein ActionBlockbuster, der als Blaupause für das gegenwärtige chinesische Spektakelkino betrachtet werden kann.

In The Taking of Tiger Mountain, Tsuis Adaption einer Modelloper aus der Zeit der Kulturrevolution, verwandelt der Regisseur die Heldenerzählung um eine Gruppe aufrechter kommunistischer Soldaten, die eine Bergfestung infiltrieren, mit einigen entscheidenden Veränderungen in einen Actionfilm, in dem sich die filmischen Traditionen Hongkongs und der Volksrepublik vermischen. Seit dem Kinostart am 23.12.2014 ist The Taking of Tiger Mountain zu einem der erfolgreichsten Filme aller Zeiten in China geworden.

Das neue chinesische Kino fügt sich zu keiner kohärenten Nationalkinematografie. Auch deshalb erreicht es Deutschland – auf spezialisierten Festivals und vereinzelt im Programmkinobetrieb – zumeist als beziehungslose Ansammlung von Nischenprodukten. Sehnsucht nach dem Regen will nicht ganz machen, was in Wirklichkeit vielgestaltig und in sich gebrochen ist. Die 25 ausgewählten Filme haben auf den ersten Blick oft nicht mehr gemein, als dass sie alle in den letzten sechs Jahren in China entstanden sind. Zusammen, als Passage durch das chinesische Filmschaffen der Gegenwart, stellen sie den Versuch dar, Ungleichartiges in Beziehung zu setzen. Kein Ganzes soll dabei greifbar werden, sondern verborgene Wechselseitigkeiten und Korrespondenzen, auch und gerade zwischen solchen filmischen Produktionsformen und Sprechweisen, die auf den ersten Blick wenig miteinander zu tun haben. Wenn das neue chinesische Kino überhaupt einen Wesenszug des neuen China anschaulich machen kann, dann ist das dessen zunehmende Pluralisierung.

Die Retrospektive Sehnsucht nach dem Regen wird gefördert vom Hauptstadtkulturfonds.